„Ich darf von der Personenfrage nicht scheiden, ohne für das weibliche Geschlecht gleiches Recht auf künstlerische Bildung, auf freie Bahn zu höchster Vollendung soweit Wille und Vermögen reichen, zu fordern ... wir können den Frauen weder Lehrertum noch Konzertsaal verschliessen ... Wir müssen das Recht der Frauen auf unbeschränkte Bildung erkennen und unsre Pflicht auch gegen sie vollständig erfüllen.“ (A.B. Marx, Die Musik des 19. Jahrhunderts und ihre Pflege. Methode der Musik, Leipzig 1855, zitiert nach: Michael Roske. Sozialgeschichte des privaten Musiklehrers vom 17. zum 19. Jahrhundert, Wolfenbüttel 1987, S. 229)
Die Realität sah allerdings anders aus und laut der Studie des Deutschen Kulturrats aus dem Jahr 2016 „Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge“ (https://www.kulturrat.de/publikationen/frauen-in-kultur-und-medien/) ist auch im 21. Jahrhundert die volle Gleichstellung der Frau als Musikerin, Komponistin, Dirigentin oder Hochschullehrerin noch nicht erreicht:
Im Wintersemester 2014/15 waren 32 % der Kompositionsstudenten weiblich. Als freischaffende Komponisten sozialversichert (KSK): 3.187 Männer / 383 Frauen
In der Saison 2013/14 stammten im deutschsprachigen Raum nur elf von 73 Oper-Uraufführungen von Komponistinnen.
Gender Studies in der Musik können Strukturen aufdecken, deren Auswirkungen noch heute für die unterschiedlichen Chancen von Männern und Frauen in den Berufsfeldern der Musik verantwortlich sind. Noch wissen wir zu wenig, über die Leistungen von Frauen als Komponistinnen oder Musikerinnen in vergangenen Zeiten. Folgt man der gängigen Musikgeschichtsschreibung, waren es nur Männer, einzelne Heroen, die Musikgeschichte schrieben. Aber welchen Anteil hatten Frauen am kulturellen Leben einer Stadt – zum Beispiel in München?
Denn trotz Ausschlussmechanismen gab es immer wieder Frauen, die ihren Traum der professionellen Musikerin, Komponistin gelebt haben. Ein Beispiel ist die Münchner Komponistin Philippine Schick (1893-1970). In einem kurzen autobiographischen Manuskript räsoniert sie über Hindernisse, die sich ihr schon bei der Berufswahl in den Weg stellten:
„Wie hatte ich meinen Vater gebettelt, mich an der Staatl. Akademie der Tonkunst ernsthaft Komposition studieren zu lassen. Aber er sagte: ‚Das ist kein ordentlicher Beruf für eine Frau – es hat noch nie eine richtige, gute Komponistin gegeben – und du wirst nicht die erste sein!‘ (…) Ein sehr berühmter Dirigent, dem eine Sängerin Orchesterlieder von mir zeigte, sagte: ‚Lieber führ ich das schlechteste Werk eines Mannes auf, als das gute einer Frau.‘ Auch mein großer Förderer Joseph Haas sagte zu meinem Nachbarn, der mich zufällig persönlich kannte, beim Anhören eines Orchesterwerks von mir: ‚Schade, dass sie nicht Philipp heißt!‘“
Spurensuche in München
In der Münchner Staatsbibliothek liegen Manuskripte von über einhundert Frauen, bekannte und weniger bekannte, groß besetzte Werke, Lieder, Klavierstücke bis hin zu Zitherkompositionen. Aber in kaum einem Lexikon, in wenigen Standardwerken wird über sie berichtet.
Begibt man sich auf die Suche nach den vergessenen Musikerinnen, finden sich gerade für München und für jede Epoche dieser Stadt ein buntes und breites Spektrum weiblicher musikalischer Praxis. Gleichsam mit den sich ausweitenden Stadtmauern sind auch die Möglichkeiten für Musikerinnen innerhalb dieser Grenzen historisch gewachsen. Erste Spuren von Musikerinnen in München finden sich 1568 bei der Fürstenhochzeit Wilhelms V. mit Renate von Lothringen, bei der Kompositionen von Maddalena Casulana und Catarina Willaert durch die Hofkapelle von Orlando di Lasso aufgeführt wurden. Im 17. und 18. Jahrhundert brachten mit Adelaide von Savoyen und Maria Antonia Walpurgis, deren Werke heute in der Bayerischen Staatsbibiliothek liegen, die ersten Komponistinnen italienische Konzert- und Opernkultur nach München. Auf die bürgerliche Musikkultur hatten vor allem die Initiatorinnen der Salons in der Stadt große Bedeutung, von der Romantik mit Sophie Dulcken, Josephine von Flad oder die große Virtuosin Sophie Menter. Welchen Einfluss hatten diese privaten bzw. halböffentlichen Salons auf die Etablierung eines öffentlichen Musiklebens. Wer waren diese Frauen, professionelle und semiprofessionelle Salonmusikerinnen, die dem städtischen Musikleben eine ganz eigene Note gaben?
Vorschub für die Professionalisierung weiblicher Musiker leisteten die ersten Studentinnen an der Königl. Akademie der Tonkunst, die teils auch nur im Privatunterricht angenommen wurden, darunter Mabel Daniels Wheeler oder Luise Adolpha Le Beau. Ihr „Auserwählsein“ beschreibt Le Beau folgendermaßen: „Professor Rheinberger sah öfters Kompositionen von mir durch: er fand meine Violin-Sonate Opus 10 ‘männlich, nicht wie von einer Dame komponiert’ und erklärte sich nun bereit, mich als Schülerin anzunehmen, was eine große Ausnahme war, da er keinen Unterricht an Damen gab.“ (Luise Adolpha Le Beau, Lebenserinnerungen einer Komponistin, Baden Baden 1910.)
Weder kann es genügen, die Ausnahmen zu porträtieren, noch die Kategorie „Frau“ aufgrund geschlechtsspezifischer Kriterien zu isolieren. Vielmehr gilt es, den lokalen Traditionen von Musikerinnen auf die Spur zu kommen, um damit einer Musikgeschichte zuzuarbeiten, die nicht nur die Spitzenleistungen männlicher Künstler favorisiert, sondern auch die zahlreichen Facetten, auf welche Weise Frauen das Musikleben einer Stadt geprägt haben, berücksichtigt.